Seit Jahren frage ich mich, ob wir mit dem Verarbeiten des Plastikmülls aus den Ozeanen der Schadenbegrenzung wirklich ein Stück näher kommen oder ob es am Ende doch nur ein bisschen oberflächliches Marketing bleibt. Denn mittlerweile findet man sogar schon im konventionellen Fashionsektor jede Menge Recyclingmode oder auch Schuhe, die einmal als Plastiktüten in den Meeren dieser Welt zu finden waren.
Abgesehen davon, dass der Müllstrudel im Nordpazifik mit einer eigenen Wikipedia-Seite schon eine weltbekannte Berühmtheit ist, ist er nicht nur eine ökologische, sondern auch eine moralische Katastrophe. Um dem globalen bad karma entgegenzuwirken, vermarkten mittlerweile zahlreiche Labels auch Mode aus Recyclingkunststoff. Wie Schwammerl schießen Yoga-Tops aus PET-Flaschen oder Jeans aus alten Shirts plötzlich aus dem Konsumboden und es scheint beinahe, als wäre diese Art der Wiederverwendung von nicht abbaubarem Müll die beste Alternative, die wir haben, um die Welt ein wenig schöner zu machen. Aber: Kann man hier tatsächlich von Nachhaltigkeit sprechen oder ist es wieder nur ein Greenwashing-Trend? Gute Idee oder Abhilfe für’s schlechte Gewissen?
Menschen wollen immer gute Geschichten hören.
Ihr kennt sie bestimmt, insofern ihr hin und wieder einen Fuß in die beliebtesten Billigläden unserer Generation setzt: Die Rückgabe-Container in den schwedischen Modeketten. Dort können alte Textilien abgegeben werden, um ihnen eine zweite Chance als Upcyclingmode zu geben. Jedoch erkennt jeder Hobbypsychologe beim genaueren Hinsehen den eigentlichen Nutzen für das Unternehmen: Die hübschen Container geben vor Müllberge zu minimieren und somit den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Gleichzeitig animieren sie aber KundInnen durch den Rabatt, welchen man im Anschluss dafür bekommt, zum Kauf von noch mehr Kleidung. Das ist nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern eine wirklich gemeine Werbetaktik. Weltverbesserung macht nämlich ein gutes Gefühl und lässt uns auch gleich noch positive Nervenverbindungen in Bezug auf ein Unternehmen knüpfen, das offenbar jedes Jahr mehrere Tonnen ungebrauchter Kleidung in einer Verbrennungsanlage verdampfen lässt.
Nach Angaben des Bundesverbandes Sekundärrohstoff und Entsorgung wurden 2007 – jüngere Zahlen liegen nicht vor – Textilien im Volumen von zwei Millionen Tonnen entsorgt. Davon waren gut 1,1 Millionen Tonnen Bekleidung und Haustextilien wie Handtücher und Bettwäsche. Davon wurden gut 40 Prozent wiederverwertet. Aber auch diese Zahlen sind nur ein Anhaltspunkt. Das ganze Ausmaß der Verschwendung, wie viel Textiles einfach im Müll landet oder verbrannt wird, kennt keiner. (Süddeutsche Zeitung)
Der eigene Wäscheberg wird so am Ende leider nicht kleiner. Ein weiteres Übel beim Herstellen neuer Kleidung sind die Stoffreste und Verschnitte, die übrig bleiben. Viele Textilverbände und Unternehmen halten sich bedeckt mit Auskünften über Abfallmengen.
Umweltschutz versus Tragekomfort
Eigentlich ist es ja sehr sinnvoll aus Altkleidung neue Mode zu schaffen. Sie ist schon da und muss somit nicht extra angebaut werden. Somit werden kein Wasser, kein Dünger, keine Pestizide und auch viel weniger Energie benötigt. Bei reinen Naturfasern, wie Baumwolle, Hanf oder Leinen, also durchaus sehr umweltfreundlich. Das Leben einer Faser ist aber leider auch endlich.
Das bedeutet in diesem Fall, dass ein Recyclingprodukt meist qualitativ weniger gut abschneidet als das Ausgangsprodukt. Das sagt zumindest Kai Nebel, Textilingenieur an der Hochschule Reutlingen. Aus einem feinen T-Shirt etwa ließe sich allenfalls ein gröberes Sweatshirt fertigen. „Und das auch nur, wenn die Recyclingfasern mit mindestens 60 Prozent Frischfasern gemischt werden.“ (1) Aus diesem Grund werden viele Altkleider entweder verbrannt oder zumindest als Dämmstoff eingesetzt. Hochwertiges wird also zu minderwertigerem bis es am Ende Müll ist. Pluspunkt bei Naturfasern: Sie sind zumindest biologisch abbaubar.
Das Recycling von synthetischen Fasern, also Plastik, ist ein Stück schwieriger als das von Naturfasern. Natürlich soll das nicht heißen, dass es nicht dringend nötig wäre, denn mittlerweile werden die meisten konventionellen Kleidungsstücken aus Polyester, Polyamid oder Polyacryl gefertigt. Auch hier gilt: Obwohl einiges an Chemie zum Einsatz kommt und das ganze Plastik erst einmal von A nach B verschifft werden muss, ist die Umweltbilanz immer noch besser als bei der Gewinnung von neuem Erdöl. Mechanisch recyceltes Plastik wird sogar besser bewertet als Biobaumwolle. (2) Aus diesem Grund sehen wir uns den Werdegang von der Plastikflasche zum neuen Textilutensil genauer an.
Kleid: ‘Shoreline’ von Bleed, kbA., inkl. kleinem Patch aus recyceltem Polyester (selbst gekauft)
Pluspunkt: Der Müll von heute ist die nachhaltige Mode von morgen
„Ein Kilo Garn enthält acht Flaschen, die nicht auf der Müllkippe landen“, sagt Marla Gonçalves von Tearfil. Der inzwischen weit verbreitete Standard GOTS (Global Organic Textile Standard) erlaubt ausdrücklich einen Kunststoffanteil von 30 Prozent in zertifizierten Kleidungsstücken, solange es sich um Material aus alten Flaschen oder Verpackungen handelt. (2)
Damit aus einer Plastikverpackung ein vollwertiges Stück Garn wird, muss es zermahlen, erhitzt bzw. eingeschmolzen und gepresst werden. Im Anschluss werden die Fäden gekühlt und für die Weiterverwendung aufgespult. Hier sind sie dann etwas weniger als einen Millimeter dünn, aber sehr formstabil und reißfest. (3) Diese Art der Herstellung kostet, im Vergleich zur Produktion von konventioneller Baumwolle, weniger Wasser sowie Energie. Dieser Prozess ist bei Kunstfasern endlos wiederholbar, insofern es reine Polyesterfasern sind.
Minuspunkt: Plastik am Körper bleibt Plastik am Körper
Und dieses liebäugelt gern einmal mit Chemikalien, die dem Körper schaden können. Wir sind es mittlerweile gewohnt weiche, anschmiegsame, farbenfrohe, pflegeleichte oder/und bügelfreie Kleidung an unseren Körpern zu tragen. Diese vermeintliche Qualität, die wir so sehr schätzen, kommt jedoch meist von chemischen Aufhellern, Weichmachern, Farben voller Schwermetalle (z.B. Blei, Quecksilber), Flammschutzmitteln, perfluorierten Tensiden (Wasser- und Schmutzschutz), Aldehyden (Knitterfreiheit), TBT (Geruchsminderung bei Sportbekleidung oder Schuhen), und Triclosan (Bakterienhemmer in Sportkleidung oder Schuhen). Diese ganze Bandbreite chemischer Verbindungen verwirrt unsere Hormone, da sie über die Hautporen eindringen, und können im Ernstfall auch zu Allergien und Krankheiten führen.
Ist Recyclingmode kreislauffähig?
Hier muss man ebenso zwischen reinen Naturfasern, reiner Synthetik und Mischgewebe unterscheiden. Mischgewebe (also Natur- und Kunstfaser) beispielsweise ist (derzeit) nicht mehr recyclingfähig, wobei H&M (ja, die mit der gemeinen Werbetaktik) seit 2016 an einer innovativen Methode auf einen hydrothermalen (chemischen) Faser-zu-Faser-Recycling-Prozess tüftelt, um Baumwoll- und Polyesterfasern zu trennen. Der so gewonnene Polyester ist ohne Qualitätsverlust einsetzbar. (4) Diese Technologie soll im Anschluss auch dem globalen Modemarkt zur Verfügung gestellt werden. Wir werden dann 2020 sehen, ob es sich hier wieder nur um utopisches Schöngerede oder wirkliche Innovation handelt. Wer sich genauer informieren möchte, möge bitte “Closed-Loop Apparel Recycling Eco-System Program” googeln.
Fazit
Trotz aller Liebe zur Verwertung von Plastikmüll: Nur, weil wir wissen, dass man Teile davon recyceln kann, sollten wir trotzdem achtsam mit den Kleidungsstücken umgehen, die wir haben. Heißt: Die Modebranche sollte bestenfalls weniger und teurer produzieren, während wir KonsumentInnen so lange wie möglich damit herumlaufen anstatt alle paar Wochen neues Zeug zu kaufen und das alte im Kleiderschrank verstauben zu lassen bis wir es letztendlich wegschmeißen.
Ebenso sollten wir uns bewusst werden, dass es genügend Alternativen zu Synthetikfasern gibt, die weitaus besser für den Körper und die Umwelt wären. Hier habe ich schon im ABC der nachhaltigen Textilfasern über natürliche Stoffe und deren Eigenschaften berichtet. Warum? “In den Jahren 2000 bis 2016 sei der Einsatz von Polyester in der Textilindustrie weltweit von 8,3 auf 21,3 Millionen Tonnen gestiegen, berichtete die Umweltschutzorganisation. Gleichzeitig habe sich die Textilproduktion insgesamt verdoppelt, mit einem Polyesteranteil von 60 Prozent. Für 2030 werde sogar ein Anteil von 70 Prozent prognostiziert.” (5) Plastik wird aus Erdöl gewonnen, eine endliche Ressource unseres Planeten. Abgesehen davon sorgt Erdölabbau dafür, dass es immer wieder Tankerunfälle gibt, die für Erdölteppiche auf den Weltmeeren sorgen. “Um weitere Vorkommen zu erschließen, dringt die Ölindustrie in immer neue Gebiete vor, etwa in die arktischen Meere sowie in Regionen vor der westafrikanischen Küste. Auch größere Wassertiefen sind inzwischen für die Ölkonzerne kein Hindernis mehr.” (6)
Dieser achtsame Umgang gilt natürlich auch für unser sinnloses Liebäugeln mit Einwegverpackungen, damit erst gar nicht derartig viel Müll anfällt, den wir zusätzlich recyceln müssen. Mehrweg statt Einweg – Diese Ökoeffektivität wäre nämlich noch viel ressourcenschonender als das Recycling an sich.
Wer auf Naturfasern verzichten möchte, macht mit Recyclingmode aus synthetischen Fasern aber zumindest schon einen besseren CO2-Abdruck als mit neu produzierter Kleidung. Bestenfalls sollte Kleidung dann auch so gestaltet werden, dass sie reparaturfähig ist und ihre Einzelteile wiederverwertbar sind. (Patagonia ist hier übrigens ein absolutes Vorzeige-Label!) Wer auf Nummer Sicher gehen will, informiert sich auch vorab über schädliche Chemikalien, die Labels eventuell verwenden oder greift gleich zu Öko-Mode. Bei Greenpeace findet ihr einen Siegel-Überblick, der euch beim nächsten Kleiderkauf unterstützen kann.
Ebenso solltet ihr, wie auch bei neuer Synthetikkleidung, darauf achten eure Wäschestücke richtig zu waschen. Plastikfasern landen leider bei jedem Waschgang als Mikroplastik im Abfluss der Waschmaschine, kann aufgrund der Größe auch schlecht gefiltert werden und landet somit am Ende in den Gewässern dieser Welt. Mehr zu Mikroplastik und was ihr dagegen tun könnt, findet ihr hier. Dort hab ich euch auch den Guppyfriend (ein Waschbeutel, der Mikroplastik auffängt) verlinkt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Recyclingmode kann, unter bestimmten Voraussetzungen, durchaus “öko” sein. Wird sie umweltfreundlich aus vorhandenem Material hergestellt, viele Jahre lang getragen sowie achtsam gewaschen und ist am Ende ihres Zyklus abermals recyclingfähig, spricht auch nichts gegen ein wenig Synthetik.
Wie steht ihr zur Recyclingplastik? Würdet ihr Schuhe und Bikinis aus alten Fischernetzen kaufen oder verzichtet ihr zur Gänze auf Synthetikmode? Findet ihr es sinnvoll Plastiktüten und Kunststoffflaschen zu recyceln oder setzt ihr direkt am Ursprung an und kauft erst gar keine Lebensmittel in Einwegverpackungen? Ich liebe es von meinen LeserInnen zu lesen! Inspiriert mich mit einem Kommentar oder erntet gutes Karma und teilt diesen Beitrag in den unendlichen Weiten des Internets. Ich freu mich und sag Dankeschön! ♥ Eure Tanja
Quellen:
(1) Recyclingmode: Wie die Textilbranche aus Plastikmüll und Altkleidern Neues macht
(2) Kann Plastikmode öko sein?, TAZ
(3) Sehr lehrreich, SZ Magazin
(4) H&M entwickelt neue Recycling-Methode für Mischgewebe, Fashion United
(5) Warum Sie keine Synthetikkleidung kaufen sollten, Kurier
(6) Erdöl – Gefahr für die Umwelt, Greenpeace
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