Ich hatte eine Fehlgeburt. Ehrlicherweise fällt mir auch kein anderer Einstieg ein als dieser.
Nun haben wir schon beinahe Ende Februar und auch, wenn ich euch sonst kaum über mein Privatleben erzähle (die Herz OP letztes Jahr war da wohl das höchste aller Gefühle), möchte ich es heute dennoch tun, weil ich seit Weihnachten nicht gerade präsent war und immer mehr Fragen aufkamen, ob es mir denn eh gut ginge.
Ich hab lange überlegt darüber zu schreiben, weil es eine sehr persönliche Angelegenheit ist und mich dennoch am Ende dafür entschieden meine Reichweite dafür zu nutzen, obwohl off eco-topic. Nicht zuletzt deshalb, weil das Thema oft totgeschwiegen wird. Aus Scham oder auch, weil man sich schuldig und damit allein gelassen fühlt.
Sich Dinge von der Seele zu reden, macht vieles leichter. Ich will damit nicht sagen, dass jede Frau darüber sprechen muss, denn es ist eine so verdammt private Sache, aber es kann helfen. Einem selbst und vielleicht auch anderen, die ähnliche Situationen durchleben müssen und mussten.
Bye, Baby.
Da waren sie also. Die zwei Striche. Morgens, auf der Toilette, kurz nach Weihnachten. Samt einer anfänglichen Ängstlichkeit, weil nicht geplant und trotzdem irgendwie ganz schnell ins Herz geschlossen. Man beginnt Ideen zu spinnen. Ideen für die Zukunft. Zu dritt. Die Ängstlichkeit macht Tag für Tag mehr Platz für schöne Gedanken.
Neben all der andauernden starken Übelkeit, den schlaflosen Nächten, den stark ziehenden Mutterbändern und der unbändigen Lust auf Essiggurkerl mit Erdbeermarmelade wächst nicht nur ein Sammelsurium an neuen Zellen, sondern auch die Idee eines kleinen Menschen in unserem Leben heran.
Von da an hieß es abwarten. Knappe fünf Wochen bis zum ersten Ultraschall. Gefühlt eine Ewigkeit. Ich hatte mir das Bild, wie groß der kleine Zellhaufen inzwischen sein müsste, seit dem Testergebnis immer wieder ausgemalt und den Mann mit Vergleichen wie geschälten Pistazien und Himbeeren genervt. Und plötzlich war es soweit.
“Ich sehe leider nichts.”, sagt die Ärztin, während sie unruhig mit dem Ultraschall hin und her hantiert und nach einem Eckenhocker sucht.
Boom. Rational gesehen verstehe ich, dass der kleine Zellhaufen nicht mehr lebt. Vermutlich schon länger nicht mehr. Wenn er es denn überhaupt einmal getan hat, denn immerhin war es der erste Ultraschalltermin.
Rational verstehe ich, dass mein Körper eben weiterhin Schwangerschaftshormone wie aus dem Bilderbuch produziert und die leere Fruchtblase größentechnisch eigentlich schon in der 11. SSW angekommen ist.
Das, was sich in diesem Moment aber primär den Weg durch meine Synapsen bahnt, ist meine Stimme, wie sie zwei Wochen zuvor dem Mann erzählt, dass meine schlimmste Angst jene sei, dass das Kind unbemerkt in meinem Körper stirbt.

Ich sehe leider nichts. In der 10. SSW geben diese vier Wörter mir plötzlich aber das Gefühl, die Kontrolle über meinen Körper komplett verloren zu haben. Wie starker Liebeskummer fühlt es sich an. Das Baby ist also gegangen, einfach so.

Man erklärt mir, dass da wahrscheinlich mal ein Baby war und in einem sehr frühen Stadium aufgehört hat zu wachsen. Gründe dafür kann man mir nicht nennen.
Ich sehe das Ultraschallbild einer leeren Fruchthöhle, das als Foto vor mir am Tisch liegt, während mir ein weiterer Arzt im Krankenhaus erklärt, dass ich aufgrund eines verhaltenen Aborts einen medikamentösen Abbruch benötige und wegen des Infektionsrisikos gleich stationär aufgenommen werde bis alles vorbei ist. Bis alles vorbei ist. Charmant.

Allein der Gedanke an eine Schwangerschaft weckt schon unheimliche Erwartungen an einen selbst, aber Hiobsbotschaften wie diese geben einem den Rest. Was habe ich falsch gemacht? Kein Nikotin, kein Alkohol, ausreichend Bewegung, gesundes Essen, obligatorische Nahrungsergänzungsmittel. Nicht einmal veganen lösungsmittelfreien Ökonagellack habe ich verwendet. Schuldgefühle beginnen sich zu manifestieren.
Bei einer sogenannten missed abortion stirbt der Embryo ganz ohne äußere Symptome. Da die Fruchtanlage nicht direkt abgeht, bemerkt man oft nicht, dass das Baby nicht mehr lebt. |
Ich schämte mich. Fehlgeburt. Wenn es nicht mein Verhalten war, dann musste wohl mein Körper fehlerhaft sein. Freunde und Familie versuchen zu trösten. Mit guter Intention meint man, dass es die Trauer schmälert, wenn weniger von dem vorhanden ist was hätte vorhanden sein sollen. “Da war doch glücklicherweise eh nichts mehr drinnen, oder, weil es hätte ja auch noch schlimmer sein können, nicht?” Eine Frage, die tief an die Substanz geht.

Ist es wirklich weniger schlimm, wenn man nur noch die Fruchthöhle sieht, während sich der Körper die letzten zehn Wochen schwangerschaftstypisch entwickelt hat? Darf man es überhaupt Kind nennen? Darf man überhaupt traurig sein, wenn eine Fehlgeburt so früh passiert? Darf man in so einem Fall trauern, wenn andere Frauen noch Schlimmeres, wie beispielsweise eine Todgeburt, erlitten haben?

Heute weiß ich: Ja, man darf. Jeder Mensch, der ein Kind verliert, darf traurig sein. Egal wie früh. Egal, ob Frau oder Mann.
Ich werde über Nacht allein in einem kleinen Zimmer untergebracht. Die Toilette befindet sich im Flur. Ein recht unheilvolles Bild, wenn man weiß, dass man dort in den nächsten Stunden viel Zeit verbringen wird. Krankenschwestern geben mir über den Tag verteilt sechs Tabletten, die eine “kleine Geburt” auslösen sollen und versuchen mich bei jedem schmerzerfüllten Besuch auf der Toilette aufzumuntern, während ich in Wehen nicht nur über einen Liter Blut an die Toilettenschüssel verliere, sondern auch irgendwie das Vertrauen in mich selbst.

Knapp zwei ganze Wochen lang verarbeitet mein Körper Geschehenes unter weiteren kleineren Wehen und Krämpfen. Das Hormonchaos lässt grüßen. Eines Tages stehe ich vor dem Supermarktregal mit den Binden, bin mit der Auswahl komplett überfordert und werde innerlich plötzlich so wütend auf die ganze Welt. Ich weine tagelang anfallsartig, tagsüber und auch nachts, las in Foren über Fehlgeburten und Sternenkinder, hatte Alpträume, konnte keine glücklichen Schwangeren mehr ertragen und keine kleinen Kinder.
Ebenso wenig wollte ich Mitleid, denn ich war leider nie besonders gut darin, Schwäche zuzugeben. Ich fühlte mich, gerade jetzt, während Corona, irgendwie allein. Auch, wenn der Mann sein Bestes gibt, um für mich da zu sein, ein Anker zu sein, obwohl er selbst ebenso traurig ist. Auch, wenn Freunde und Familie versuchten mich aufzubauen, aufzuheitern, da zu sein, soweit es möglich war.
In den letzten Wochen haben mir jedoch so viele Frauen von ihren eigenen Fehlgeburten erzählt, dass es mir ein Stück weit hilft dieses Trauma in seiner Gesamtheit besser zu verarbeiten.
Keine Floskeln, keine Bekundungen, sondern wertvolle Erfahrungsberichte und dann ist da doch plötzlich irgendwie das Gefühl nicht ganz so allein mit seiner Traurigkeit zu sein.

Es hilft dabei sich bewusst vor Augen zu führen, dass man nicht schuld daran hat. Fehlgeburten passieren. Das ist wohl der Lauf der Natur. Fast ein Drittel aller Schwangerschaften geht frühzeitig ab, erklärt mir eine Ärztin. Oftmals sogar, ohne eine Schwangerschaft überhaupt bemerkt zu haben. Das Leben geht irgendwann auch wieder weiter. Wenn auch anders. Klingt erstmal banal, ist es aber definitiv nicht, denn es erfordert viel Selbstreflexion.
Es gibt viele Möglichkeiten die Trauer über den Verlust zu verarbeiten und man darf und soll sie auch verarbeiten.
Wenn ihr selbst schon einmal eine Fehlgeburt durchleben musstet und davon erzählen wollt, nutzt gerne die Kommentarfunktion unter dem Artikel. Möglicherweise hilft ein Austausch nicht nur euch selbst, sondern auch den stillen LeserInnen, die (noch) nicht darüber sprechen wollen oder können. Fehlgeburten sollten kein Tabu sein, denn sie passieren zu häufig, um allein damit fertig werden zu müssen.
Österreichweiten Anlaufstellen, die wertvolle professionelle Hilfe beim Trauern anbieten: Die Telefonseelsorge ist unter der kostenlosen Telefonnummer 142 rund um die Uhr als vertraulicher Notrufdienst jeden Tag des Jahres erreichbar. Die Selbsthilfegruppe Regenbogen gibt es für Eltern, die ihr Baby nach Abort, Abtreibung, Fehlgeburt, Totgeburt oder Tod kurz nach der Geburt vermissen. Der Verein Pusteblume widmet sich österreichweit der Förderung der professionellen Beratung und Begleitung bei Fehlgeburt und perinatalem Kindstod. In Österreich gibt es außerdem ein Vielzahl an Trauercafes, die besucht werden können. Coronabedingt kann das Angebot jedoch eingeschränkt sein. Nehmt euch die ersten Wochen nach der Fehlgeburt nicht zu viel vor (kleines Wochenbett), fragt nach Unterstützung und sucht euch, wenn gewünscht, eine Hebamme zur Nachbetreuung. Und auch, wenn es rechtlich gesehen keinen Mutterschutz gibt, ist eine Krankschreibung möglich. |
Verarbeiten ist ein Prozess. Als Sozialpädagogin, mit viel psychologisch wertvollem Input im Gepäck, fällt dieser Prozess vielleicht ein wenig leichter. Nicht zuletzt, weil ich Lösungsansätze arbeitsbedingt über ein Jahrzehnt hinweg verinnerlicht habe. Doch dieser Verlust, so “klein” er auch war, wird mich auf emotionaler Ebene sicher noch einige Zeit begleiten.
Und ja, die Traurigkeit ist immer noch da.
Morgens, wenn ich aufstehe und etwas vermisse, abends wenn ich zu Bett gehe und merke, dass da einfach etwas fehlt. Beim Einkaufen, wenn ich Mütter mit ihren Kindern sehe oder aber bei meiner Frauenärztin im Wartezimmer.
Dennoch: Je öfter ich dieses böse behaftete Wort Fehlgeburt in den Mund nehme, desto leichter wird es für mich, es auszusprechen und daran zu wachsen.
Weiterführende Links: Erste Schritte nach der stillen Geburt oesterreich.gv.at Stille Geburt Bundeskanzleramt, Sektion Familien und Jugend, PDF Hebammensuche österreichweit hebammen.at Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie Seit 2017 gibt es die Möglichkeit der standesamtlichen Beurkundung von Fehlgeburten Ein Aktionstag, der jährlich am zweiten Sonntag im Dezember stattfindet ist das Worldwide Candle Lighting |
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